Prof. Dr. Dieter Prokop

Kritische Theorie / Frankfurter Schule / Kulturindustrie / Medientheorie / Medienwissenschaft / Medienforschung / Wirtschaftssoziologie / Kritische Theorie des Gelds / Kritische Theorie Europas

Dieter Prokop (* 1941) ist Professor em. für Soziologie mit dem Schwerpunkt Medien an der Goethe-Universität Frankfurt.








PROKOP, Dieter (2014): Kritische Theorie des Gelds. Tectum Verlag, Marburg / ISBN: 978-3-8288-1

Worum es geht


Tatbestände

     Entscheidend sind heute nicht 'freie Märkte', sondern oligopolistische Marktverhältnisse. Entscheidend ist heute die Politik der Deregulierung, die die Finanzwirtschat entfesselt hat.
     Die Folge der Deregulierung sind Täuschungen und Betrügereien der Großbanken an Kleinanlegern, institutionellen Anlegern und Staaten. Eine weitere Folge ist das Bündnis der Staaten, mit den Banken-Konzernen: Der Staat gibt Existenzgarantien, und als Gegenleistung überfüttern sich die Banken mit Staatsanleihen, die ihnen, wenn sie toxisch sind, wiederum die Europäische Zentralbank abnimmt. Trickreich umgeht die EZB das Verbot der Finanzierung anderer Staaten (Maastricht-Vertrag, No bailout-Klausel) mit ihrem OMT-Programm, bei dem es um den unbegrenzten Aufkauf von den Staatsanleihen von Pleitestaaten geht. Scharf am Rand des deutschen Grundgesetzes - wenn nicht außerhalb desselben - bewegt sich der ESM, European Stability Mechanism, der marode Staaten und Banken auf Kosten der Steuerzahler in anderen Staaten finanziert.
     Wenn man eine realistische Theorie des Gelds will, muss man diese fatalen Tatbestände zur Kenntnis nehmen.

Interessenlagen

     Die fatalen Tatbestände sind den kritischen Finanzfachleuten bekannt. Was die von mir angestrebte kritische Theorie des Gelds zur Analyse und zur Debatte hinzufügen kann, ist die gesellschaftswissenschaftliche Diagnose. Diagnosen haben den Zweck, an den empirischen Vorgängen das 'Wesentliche', in diesem Fall den gesellschaftlichen 'Trend' zu erkennen und in Begriffe zu fassen.
     Ich werde von einer 'Operation Entgrenzung' sprechen und unter diesem Begriff die hinter all den Täuschungen, Betrügereien und Vertragsbrüchen befindlichen strategischen Interessenlagen analysieren. Die Operation Entgrenzung betrifft auch die entgrenzte Kürzung aller gesellschaftlichen Einrichtungen, die dem Gemeinwohl dienen. Das liegt am fatalen Bündnis der Staaten mit den Banken und führt auch dazu, dass die Staaten nur noch im Interesse ihrer Staats-Bonität handeln und nicht mehr im Interesse ihrer Bürger.

Modelle

     Eine Diagnose will die wesentlichen Grundstrukturen benennen. Dazu gehört auch die der Grundstruktur des Gelds selbst. Also stellt sich auch die Frage: Was ist das Geld? Was ist das Wesentliche am Geld? Was ist die gesellschaftliche Quintessenz des Gelds?
     Wenn man die Sache auf der makro-ökonomischen (und makro-politischen) Ebene behandelt, stellt man fest: Die realen Strukturen, in denen Geld funktioniert, sind 'der Tausch' (d.h. der Waren-Handel) und 'der Kontrakt' (d.h. der Kredit- und Eigentums-Vertrag). Hieraus entsteht Abstraktion, im Handeln der Akteure: Um den Wert von Waren zu erkennen oder die Bonität von Kreditpartnern zu beurteilen, müssen die wirtschaftlichen Akteure abstrakt denken. Die Menschen rechnen, wenn sie Geld benutzen. Sie kalkulieren den Wert von Waren und die Bonität derer, mit denen sie Kredit-Verträge schließen. Hierbei stellen sie Vergleiche an, sie identifizieren Gleichwertiges, schließen Nicht-Gleichwertiges aus. Sie entwickeln hierbei ein 'Denken in abstrakter Allgemeinheit'. Die reine Form, das gesellschaftliche 'Wesen' des Gelds, ist also die reale, dem realen Handeln beim Waren-Handel und beim Geld-Kontrakt implizite Abstraktion.
     Ich werde die vier grundlegenden theoretischen Werke über das Geld darstellen, die diese Grundstrukturen des Gelds behandelten: Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie (1867); Georg Simmel: Philosophie des Geldes (1900); John Maynard Keynes: A treatise on money (1930: dt. Vom Gelde. 1931) und Gunnar Heinsohn und Otto Steiger: Eigentum, Zins und Geld. Ungelöste Rätsel der Wirtschaftswissenschaft (1996).

Illusionen

     Mit Hilfe dieser Modelle, die sich auf der Makro-Ebene bewegen, diagnostiziere ich eine 'Unendlichkeits-Illusion'. Das meint Folgendes: Zu den 'entgrenzten' Verhältnissen gehört heute auch der Glaube (oder die Propaganda), man könne die Zukunft unendlich kalkulierbar machen, mittels 'Big Data', also gewaltiger Datensammlungen und Datenverwertungen im kommerziellen Bereich (sie finden ja nicht nur bei den Geheimdiensten statt). Und man könne Staatsschulden einfach unendlich in die Zukunft verschieben. Das Phänomen sieht, nach meiner Diagnose, so aus: Wenn Waren-Tausch und Geld-Kontrakte entgrenzt werden, wird auch die darin präsente Abstraktion entfesselt. Aus dem 'normalen' Denken in abstrakter Allgemeinheit wird ein 'verrücktes' Denken in abstrakter Unendlichkeit. Das kann neben den Immobilien- und Staatsanleihen-Blasen auch fatale Illusions-Blasen erzeugen.
     Damit landet die zunächst so abstrakt erscheinende Abstraktions-Analyse mitten im Konkreten: in der Gefahr des nächsten Crashs.

Freiheits-Chancen

     Ein produktives kritisches Vorgehen nimmt aber auch die im fatalen Ganzen angelegten Freiheits-Chancen wahr. Es gibt sie: Simmel zeigte, dass der Gebrauch von Geld die gesellschaftlichen Beziehungen versachlicht. Und Adorno behandelte die Tatsache, dass 'der Tausch' (bzw. der Waren-Handel) zwar fatale Folgen hat, aber zugleich Chancen der Entwicklung denkender Subjekte, denkender Menschen enthält.
     Die Theorie des Gelds, die ich anstrebe, ist kritisch - aber sie vermeidet das pauschale Verdammen des Vorhandenen. Kritik kann nicht bloß in moralischer oder politisch korrekter Empörung bestehen oder darin, dass man sich auf eine von außen aufs Material aufgesetzte 'Ethik' oder 'Wertorientierung' beruft.
Das kritische Vorgehen findet freiheitliche Maßstäbe - als 'Alternativen' - im Waren-Tausch und im Geld-Kontrakt selbst; in den Maximen, die darin strukturell angelegt sind: den Maximen des rationalen Vergleichs, der egalitären Gerechtigkeit und der rationalen Bonität.
     Damit wird es der kritischen Theorie des Gelds auch möglich, Lösungsvorschläge für eine freiheitliche, rationale Identität des Gelds zu machen.

     Darum geht es.

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